Die Deutsch-Ecuadorianische Handelskammer (AHK Ecuador) setzt auf virtuelle Messen für multisektoriale und fachspezifische Branchentreffs. Welche Erfolgskriterien sind entscheidend?

Im Juli 2020 ist die AHK Ecuador unter den weltweiten Corona-Rahmenbedingungen einen mutigen und engagierten Schritt gegangen. Im Verbund der Außenhandelskammern (AHK) Lateinamerikas hat sie die erste länderübergreifende, multisektorale, rein virtuelle Messe Lateinamerikas durchgeführt: Die Expo Alemania Virtual.

Virtuelle Messe planen

Was waren Ihre Beweggründe eine virtuelle Messe anzubieten?

Durch Corona hatte sich unsere gesamte Jahresplanung 2020 verändert. Seit dem 15. März waren keine Präsenzveranstaltungen in Ecuador mehr möglich. Um unseren Mitgliedern und Kunden in Lateinamerika dennoch eine Handels- und Informationsplattform bieten zu können, haben wir ohne Vorerfahrung die erste virtuelle Messe Expo Alemania Virtual ins Leben gerufen.

Wie unterscheidet sich die Planung und Kommunikation einer virtuellen Messe von einer analogen?

Unsere Marketingabteilung hat Mitte April 2020 mit der Konzeption und Planung begonnen. Der Betreiber der Messeplattform hat seine Expertise für digitale Events eingebracht. Unser Zeitplan war sehr ambitioniert, die Messe mit nur drei Monaten Vorlauf zu organisieren. Immerhin mussten wir uns länderübergreifend mit 19 AHKs in Lateinamerika sowie weiteren Partnern in Deutschland abstimmen.

Die Organisation einer virtuellen Messe ist viel dynamischer als die einer analogen.

Wir konnten jederzeit schnell und flexibel auf Anforderungen von Besuchern und Ausstellern reagieren. Die Werbung erfolgte über das weltweite Netz der AHKs in 91 Ländern sowie Facebook.

Virtuelle Messestände

Mit 310 Ausstellern haben Sie einen Querschnitt aus neun Industrie- und Dienstleistungsbereichen versammelt. Wie konnten sich die Besucher orientieren?

Wir haben zwei Eingänge geschaffen. Einen zu den Länderpavillons, den anderen zu den Sektorpavillons. So konnte ein Besucher, der eine spezifische Technologie oder Dienstleistung in Brasilien suchte, dorthin gehen. Suchte er aber standortunabhängig beispielsweise Steuerungstechnik, war er im Industriepavillon besser aufgehoben. Im Bereich der deutschen Institutionen waren alle AHKs aus Lateinamerika vertreten, über die ebenfalls die Ansprache von spezifischen Unternehmungen möglich war.

Virtuelle Messestände

Virtuelle Konferenz

Wie haben die Besucher den Konferenzteil angenommen, erfolgt der Einstieg eher spontan?

Während der Messe haben wir 84 Fachseminare und Produktpräsentationen angeboten, an denen rund 15.000 Besucher teilnahmen. Die Fülle und Komplexität des Veranstaltungsmanagements war ein gewaltiger Aufwand für unser kleines Team. Dennoch konnten wir eine Übersicht des Seminarprogramms im Voraus veröffentlichen. Die Besucher haben das genutzt und sich vorbereitet - das haben wir an der Pünktlichkeit der Teilnehmer gesehen.

Virtuelle Messe Vorteile

Welche positiven Aspekte der rein virtuellen Expo Alemania haben Sie überzeugt?

Virtuelle Messen sind ein wichtiger Baustein in der Kontaktanbahnung und Vertriebskommunikation - und werden es nach der Corona-Pandemie auch bleiben.

Sie sind effizient, kostengünstig und daher attraktiv für alle Beteiligten.

Der langfristige Aufbau der Kontakte muss dann aber im persönlichen Gespräch erfolgen. Insbesondere bei Investitionsgütern, wie beispielsweise dem Kauf einer Recyclinganlage.

Die globalen Reichweiten der digitalen Kommunikation erweitern zudem das Zielgruppenspektrum. Eine derartige Dichte von Ausstellern aus ganz Lateinamerika und Besuchern aus aller Welt hätten wir mit einer Präsenzmesse in Ecuador nicht erreichen können. Und nicht zu diesen Kosten.

Aussteller Kosten

Wie hoch waren die Kosten für die teilnehmenden Firmen?

Wir haben unterschiedliche Ausstellerpakete angeboten, die zwischen 600 US-Dollar im Premium- und 400 US-Dollar im Business-Segment lagen. Für Mitglieder der teilnehmenden Organisationen und Start-Ups gab es günstigere Konditionen. Die Unterschiede bei den Leistungen lagen zum Beispiel im Umfang der Social Media Werbemaßnahmen und der Redezeit auf dem messebegleitenden Kongress. Die Größe der Aussteller reichte vom Zwei-Personen Schokoladenvertrieb bis hin zu global agierenden Technologieunternehmen.

Aussteller Vorbereitung

Wie haben sich die Unternehmen auf die digitale Präsentation und Kundenberatung eingestellt, gab es im Vorfeld viele Fragen?

Wir hatten einige Aussteller, die sich gleich auf der virtuellen Plattform zurechtgefunden haben und passendes Video- und Präsentationsmaterial einsteuern konnten. Viele Aussteller hatten keine Erfahrung mit einer digitalen Messe. So haben wir zwei Webinare zum Management eines virtuellen Messestandes angeboten, die sehr gut besucht waren. Bei den Ausstellern lag die Vorbereitungszeit für den Messeauftritt bei drei bis fünf Personentagen.

Aussteller Zufriedenheit

Über 70 Prozent der Aussteller haben ein positives Feedback auf die Teilnahme gegeben. 55 Prozent würden wieder, weitere 38 Prozent wahrscheinlich wieder teilnehmen.

Das ist doch Motivation für weitere Unternehmen, sich dem Thema digitale Messen zu öffnen. Welche Tipps können Sie ihnen mit auf den Weg geben?


Die Vorbereitung ist das A und O für einen erfolgreichen Messeauftritt. Das Präsentationsmaterial muss stimmen und die Standbesetzung gut informiert sein. Das ist aber auf allen Messen so, nicht nur bei digitalen. Die Möglichkeit zu Live-Chats erfordert genügend Personal, um Interessenten sofort binden zu können. Wir als Veranstalter hatten gleichzeitig immer fünf Kollegen an den WhatsApp-Buttons im Einsatz. Auch die Zeitverschiebung von bis zu sieben Stunden nach Deutschland war eine Herausforderung für die Aussteller.

Besucherzahlen

217.369 Besucher aus aller Welt haben die Expo Alemania Virtual besucht. Hätten Sie damit gerechnet?

Wir hatten mit 5.000 Besuchern pro Ausstellerland gerechnet, bei 20 teilnehmenden Ländern also mit rund 100.000 Besuchern über alle Messetage. Damit wurde unsere Prognose um mehr als 100 Prozent übertroffen. Auch die Herkunft der Besucher aus 54 Ländern hat uns zunächst überrascht. Wir waren wohl noch analog geprägt, als wir in der Planung vor allem Lateinamerika und Deutschland im Blick hatten.

Nun wissen wir: Eine digitale Messe hat eine globale Reichweite.

Messeziel Interaktionen

Wie beurteilen Sie die Zufriedenheit der Besucher mit dem virtuellen Messebesuch?

Die Interaktionen zwischen Besuchern und Ausstellern ist dafür unsere wichtigste Kennzahl. Es fanden über 60.000 Interaktionen an vier Messetagen statt, Konferenzteilnahmen, Downloads, Anfragen, Chats. Das ist ein sehr gutes Ergebnis. Denn viele Besucher klicken sich nur kurz in eine digitale Messe ein und sehen sich ohne Interaktion um. In Bezug auf das Matchmaking wurden von den Ausstellern bis zu fünfzehn positive Kontaktanbahnungen genannt, die nach der Messe intensiviert wurden.

Sprachenkonzept

Was sagt die globale Reichweite über das Sprachenkonzept aus. Werden Sie in Zukunft weitere Sprachen anbieten, Englisch zum Beispiel?


In 2021 werden auch wieder Spanisch und Portugiesisch für unsere Kunden in Lateinamerika sowie Deutsch im Vordergrund stehen. Ob wir unsere globale Reichweite mit englischer Kommunikation erweitern wollen, haben wir noch nicht abschließend entschieden. Für den Kongressteil käme eine weitere internationale Sprache sicherlich in Frage.

Ausblick 2021

Wie werden Sie virtuelle Messen in Zukunft einsetzen?

Die Vorbereitungen zur Expo Alemania Virtual 2021 werden in Kürze beginnen. Und die Messe wird digital bleiben. Bei der großen Anzahl der Ausstellerländer und Branchen sehen wir ein analoges oder auch hybrides Event nicht als effizient an, weder in der Organisation noch Durchführung. Die Dauer des Branchentreffs werden wir von vier Tagen auf drei reduzieren und den Kongressteil kompakter gestalten.

Wir stehen erst am Anfang, digitale Formate für den Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen zu Lateinamerika zu nutzen.

Anfang Dezember 2020 haben wir eine weitere virtuelle Messe zum Thema Erneuerbare Energien und Energiewende durchgeführt - ein kleines, aber hochspezialisiertes Event. Auch hier waren die Aussteller mit den Besucherzahlen und Interaktionen zufrieden. Für die Zukunft denken wir an Fachmessen zu Kreislaufwirtschaft, Dualer Bildung und dem Megatrend Grüner Wasserstoff.

Das Interview fand im Dezember 2020 statt.

Am 11.11.2020 führte die IHK Koblenz das Webinar zum Thema "Vertrieb ohne Reisekosten - Expo Alemania virtuell: Erfahrungen seitens Organisatoren und Aussteller" durch.

Links zum GTAI-Exportguide-Partnernetzwerk

  • AHK Ecuador
  • AHK weltweit
  • ExpoAlemania 2021*
    multisektoral: Agroindustrie und Lebensmittel, Consulting und Finanzen, Dienstleistungen, Maschinen, Bergbau und Energie, Hoch- und Tiefbau, Anlagen Automotive, Chemie und Gesundheit, Technologie und Digitalisierung 4.0
    *in Zusammenarbeit mit Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Lateinamerika Verein (LAV) und Import Promotion Desk (IPD)